Produziert für: Eibner-Pressefoto 
Veröffentlicht bei: versch. Newsportalen Jahr: 2022.
Kategorie: Motorsport / Sportfotografie / Blog.
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – sagt man. Naja, über das mutmaßlich beste Formel-1-Rennen der Saison 2022 zu schweigen will aber niemand. Und wenn es dann auch noch in »Silverstone« stattgefunden hat? Ist der Fall klar. Wir reden darüber. Und zwar ausführlich. Zunächst die Hard Facts: Das erste Mal seit zehn Jahren ist der Fotograf wieder im Vereinigten Königreich, das erste Mal seit zwei Jahren wieder für Eibner Pressefoto akkreditiert bei der Formel 1 – und das erste Mal überhaupt im schon erwähnten Silverstone. Alles schön und gut, aber wie sieht so ein Formel-1-Wochenende für den Fotografen selbst dann tatsächlich aus? 
Der Freitag:
Es ist halb Sieben, Freitag, der 1. Juli. Vor gerade einmal einer halben Stunde bin ich mit Bobby einem Barkeeper und meinem AirBnB-Mitbewohner an der Strecke angekommen. Der ausgesprochen feine Kerl aus dem Londoner Umland hat mich einfach mitgenommen – und tut es auch die kommenden drei Tage, so viel sei schon verraten. »Ausgeschlafen« ist dabei ein Fremdwort, genauso wie »ausgewogenes Frühstück« Ein KitKat wird verdrückt und nochmal eine Stunde Schlaf vor dem Akkreditierungs-Büro nachgeholt, ehe der erste Tag dann wirklich beginnt. Natürlich mit People im Paddock ablichten: Die Fahrer, Team-Bosse und andere Stars – gefolgt von schnellem Senden der Bilder. Ja, auch als Medienvertreter brauch man hier eine gute Pace. Ich begebe mich wieder hinaus, gleiches Programm, wieder senden. Dann gegen 14 Uhr endlich echte Action: aus dem Media-Center im »Wing« stürze ich mich in der schnellen Kurve Beckets direkt ins erste freie Training – und den Regen. Leider ist wenig Betrieb auf der Strecke – was den Fotografen natürlich ärgert.​​​​​​​
Gegen Ende dann aber noch ein Lichtblick, zumindest für mich: Hinein in die superschnelle Copse verliert da Stroll seinen Aston Martin AMR22– und beendet das erste Training für alle anderen gleich mit. Macht aber auch nichts, ohnehin waren nur noch drei Minuten auf der Uhr und ich habe die Bilder. Wieder geht es direkt ans Senden, schnell werden die Bilder aussortiert und übertragen. Training Nummer zwei um 17 Uhr bietet dann auch endlich gute Bedingungen und mehr Autos auf der Strecke. In der Kurve »Club« fotografiere ich die komplette Session, denn der Spot am Eingang der neuen Star-Ziel-Geraden ist ein echtes Multitalent: Frontalaufnahmen (fast) aller Autos entstehen hier genauso leicht wie Panning-Shots mit dem Silverstone Wing im Hintergrund. Schüsse aufs Heck der Autos sind auch drin. Hier ist der Job des Pressefotografen verhältnismäßig »entspannt« und Alltag – wenn es in der schnellsten Formelrennserie so etwas überhaupt gibt. Der reichlich späte Zeitplan schleppt sich bis lange in den Abend, was auch analog für den Fotografen gilt.
 Bobby aber wartet – und nimmt mich um kurz nach 21 Uhr mit ins AirBnB. ​​​​​​​
Der Samstag:
Willkommen in der Zeitschleife: Es ist Samstag. Wieder halb Sieben, aber wenigsten muss ich nicht wieder auf die Akkreditierung warten. Zum Glück. Entspannter wird es trotzdem nicht, denn nach dem Stopp im Fahrerlager bin ich für heute in der Boxengasse zugelassen. Auch wenn es ein wenig verrückt klingt: genau hier in der Box, erlebt man die Kraft und Geschwindigkeit der Boliden klarer wie sonst nirgends. Schnelle Kurven sind im Fernsehen und vor Ort beeindruckend, aber wie unglaublich schnell die Boliden hier vor dem Wing aus den Boxen schießen, ist einfach realitätsempfindungsverschiebend. Falls es dieses Wort überhaupt gibt – sonst müsste es genau für diesen Moment hier in Silverstone erfunden werden. 
Stillstand gibt es hier in der Box nicht – nicht für die Autos und auch nicht für den Fotografen. Alles und jeder ist ständig in Bewegung und man kann quasi nur im Weg stehen. Die Challenge dabei: einfach nicht im Weg stehen, nicht überfahren werden und natürlich gute Bilder machen. Die wichtigen Fahrer und Motive werden deshalb auch direkt angesteuert. Für eine deutsche Agentur wie Eibner sind das natürlich Sebastian Vettel und Mick Schumacher. Selbstverständlich auch die ersten vier Fahrer in der WM. Der Lichtbildner nimmt aber gerne alles mit, was sich ergibt. Ein Alonso mit dem tätowierten Arm des Mechanikers ist da gekauft, genauso wie Pierre Gasly in der Box. Und den kaufte auch gleich die L’Equipe bei Eibner.
Apropos Verkauf: Bei den Motiven zahlt es sich wirklich aus, mitzudenken. Ein nachdenklicher Sebastian Vettel, der später im Qualifying nur Position 18 schafft? Wird im Serienbildmodus abgelichtet. Die Kamera rattert, die Kasse klingelt – auch wenn ich Sebastian nur das Beste wünsche.
Das Quali etwas später? Was für Carlos Sainz der Triumph mit der ersten Pole ist, wird für mich zum regnerischen Totalausfall mit unglücklicher Fotospot-Wahl. Und dafür sind wir fast 15 Minuten im Media-Shuttle um die Strecke gefahren! Ich ärgere mich, auch über die streckenweise grausige Infrastruktur in Silverstone. Zwei Brücken und ein Tunnel an mit den abgelegensten Stellen der Strecke sind nämlich nicht nur unpraktisch – sondern machen die Arbeit hier vor Ort manchmal wirklich schwer. Aber hey, ich lerne wieder viel an diesem Tag. Sehr, sehr viel. Und das ist für die nächsten vielleicht sogar wertvoller als gute Bilder jetzt in diesem Moment.
Grummelnd schlafe ich an diesem 2. Juli ein.
»Ich kann das besser. Ich bin besser. Ich mache das besser!«
Der Rennsonntag:
Auch am Rennsonntag gilt es einmal mehr den richtigen Riecher haben: Welche Kurve sucht man sich zum Start aus? Als Sebastian Vettel seine Runden im eigenen Mansell-Williams dreht, ist das noch leicht. Er hat gut lachen – und ich auch, denn »Vale« ist die Kurve meiner Wahl. Frontaler Klassiker mit einer Wand aus Fans. Ein einfaches, aber wirksames Rezept für ein gutes Bild von Sebastian und seinem CO2-Neutralen-Williams von Nigel Mansell. Selbstverständlich fängt der Sonntag davor auch als Abziehbild der anderen beiden Tage an – aber er soll noch ganz anders werden. Ganz anders. Aufregend, dramatisch und lang.
Das Rennen kurze Zeit später beginnt nämlich mit einem riesigen Knall, genauer gesagt dem Unfall von Zyou Ganyou. Unglaublicherweise bleibt der junge Chinese unverletzt, genauso wie die Fotografen, die in der ersten Kurve stehen. So viel vorneweg. Drei Fotografen versuchen aber ihr Glück in Kurve drei, der ersten engen Kurve. Ich bin auch unter ihnen. Wir sehen nur die rote Flagge und plötzlich auch Demonstranten, die die Strecke stürmen. Gerüchte hatte es gegeben, aber sie haben es wirklich getan. »Wanker, Wanker, Wanker«, skandieren die Fans auf den Tribünen. Das lässt man an der Stelle mal unübersetzt. Der Protest muss doch sicher der Grund für den Abbruch sein, oder? Selbst Scotland Yard ist jetzt auf der Wellington Straight und knöpft sich die Flitzer vor.
Dann Klarheit: Nein, Abbruch wegen schwerem Unfall. Stimmt. Verdammt.
Der Alfa fehlt.
Der Alfa und sein Pilot Zhou Ganyou, der von George Russel getroffen mehrere hundert Meter durch die Luft fliegt, über den Asphalt rutscht und im Fangzaun nur wenige Meter vor erschrockenen Zuschauern stecken bleibt. Wir wissen nichts, bis wir andere Fotografen auf dem Weg zum Media-Center treffen. Weitere 20 Minuten keine Wiederholungen, schon zwanzig Minuten ist aller Verkehr gesperrt – den Demonstranten sei Dank. Oder auch nicht. Nicht nur dunkle Regenwolken liegen über der Strecke, auch eine gespenstische Stimmung. An der Shuttle-Station zum Media-Center auch angespannte Stimmung: der Busfahrer raucht, eine der absoluten Fotografen-Legenden ruft: »I’ve got the Crash. I got pictures to sell!« Die Kippe wird widerwillig ausgedrückt, Augen verdreht und der Busfahrer steigt ein. Aber Fair Point: mit dem Warten verbrennt der Kollege am Steuer hier bares Geld. Die Fotografen- Legende schaut scharf. Und die Bilder vom Crash finden den Weg ins Internet.
Naja, und auch so manche Aufnahmen von »Extinction Rebellion«, die die drei Unglücksvögel geschossen haben. Einer der alten Hasen sagt noch vor dem Start: »When I’m in Turn 3, something will happen at the start!« Lautes Lachen. Und vergebliches Hoffen auf den Schuss des Wochenendes. Verschwitzt feuere ich im Media Center meine Demonstranten-Bilder in den FTP-Client.​​​​​​​
Inzwischen gibt es endlich Entwarnung: Zhou ist bei Bewusstsein – und offenbar unverletzt. Und was dann nach dem Abbruch passiert, ist wirklich das beste Rennen der Saison 2022. Von Strategie geprägt, führt Local Hero Hamilton eine ganze Weile, während die eigentlich überlegenen Ferrari von Leclerc und Sainz mit sich und untereinander kämpfen. Verstappen? Ist mit einem Aero-Schaden weit hinten, am Ende der Top 10 unterwegs. Dann streikt Esteban Ocons Benzinpumpe, nur Momente nachdem er Verstappen überholt hatte. Ein spätes Safety Car, so manche Strategie überlagert sich und Ferrari lässt Leclerc draußen, während Sainz und Hamilton stoppen. Und auch wenn es knochentrocken ist: Ferrari lässt in diesem Moment Leclerc im Regen stehen. Auf harten Reifen verliert er nämlich den Rennsieg, wir dagegen gewinnen. Der Preis: 10 Runden »Free for all«, ein wildes Hauen und Stechen. Streckenweise fahren die großen Namen zu dritt nebeneinander und sich gegenseitig von der Strecke.  Dass Sainz da schon den vermeintlichen Teamleader Leclerc knallhart in der ersten Runde nach dem Safety Car überholt hat? Geht da fast unter, denn hinter den beiden Ferrari brennt der Asphalt. Leclerc kämpft weiter wie ein Löwe, aber sein Rennen ist dahin. Am Ende soll er Vierter werden. Und sagen wir es so: hätten Fotos einen Kommentar, dann könnte man jetzt genau einen Satz hören:
  »AND THROUGH GOES HAMILTON!«
Ein Raunen und Jubeln brandet auf, Die Stimmung schießt rund um die Strecke durch das Dach. Auch die alten Hasen und Stars unter den Fotografen schauen sich in diesem Moment an – und fragen sich, wann die Königsklasse das letzte Mal so unglaublich gutes Racing geboten hat. Die Antwort ist da je nach Alter und der persönlichen »goldenen Ära« subjektiv, der kleinste gemeinsame Nenner ist aber klar: Es ist schon ein bisschen länger her. Während die Positionen weiter vorne dann zwei, drei Runden vor Ende bezogen sind, geht es rund um Platz sieben und acht noch hoch her: Mick Schumacher kämpft mit Max Verstappen, sie berühren sich mehrfach fast – aber Mick bringt endlich seine ersten Punkte nach Hause. Und Carlos Sainz gewinnt sein erstes Rennen. Nach seiner ersten Pole im Regen, einem Fehler im Rennen und durchaus Glück, aber auch Kampfeswillen.
Was dann folgt, ist rundherum pure Emotion: zahllose Piloten gratulieren Carlos, Seb beglückwünscht Mick, Seb umarmt Carlos, die Fans feiern Lewis Hamilton für Platz drei und Papa Perez zelebriert den zweiten Platz des Sohnes mit einem eingesprungenen Fahnen-Zerreißer. Beinahe fängt es auch noch an zu regnen, als ich Seite an Seite meinem großen Fotografen-Idol Florent Gooden die Feierlichkeiten einfange. Beseelt schlendere ich zurück ins Media Center und als alle Bilder gesendet sind, fällt der Druck final ab. Auf zum Treffpunkt mit Bobby. Am Copse Tunnel begegnet mir dann eine feiernde Meute, die zu »Sweet Caroline« lautstark feiert. Party-Kanonen waren sie schon immer, die Briten.
Ich kaufe einen Pint, hebe meinen Becher auf die Truppe – selten hat ein kaltes Bier besser geschmeckt.
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